Geschichte - Unter-Widdersheim - Hessen

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Unter-Widdersheim
Update 13.03.2024
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Geschichte

Geschichte

Unter-Widdersheim – ein Leben im Dorf

(Geschichte und Geschichten des Dorfes vom 4. Jahrtausend v. Chr. bis Ende des 2. Jahrtausends n. Chr.)
 


Blick über den alten Dorfkern vom Klappersberg über die Wetterau Richtung Taunus
Geografische Lage

Die Steinzeit
Die Geschichte des Dorfes Unter Widdersheim, das am Südwestrande des Vogelsberges in der hessischen Wetterau liegt, beginnt schon weit in vorchristlicher Zeit. Ein seltener und wertvoller Zeuge aus der Siedlungszeit um etwa 4000 v.Chr., der Megalithkultur (Jungsteinzeit), ist der "Kindstein". Die Bedeutung solcher Steine ist auch bei Fachleuten noch umstritten. Möglich ist, dass dieser Stein Teil eines Steinkreises, ein Platz kultischer Handlungen oder ein steinzeitliches Grab gewesen ist. Da Trachytgestein an diesem Standort nicht vorkommt, muss es einige Kilometer weit transportiert worden sein. Durch den „Kindstein“ ist allemal belegt, dass in dieser Zeit Menschen, vermutlich des Typs „Homo sapiens sapiens“ im Bereich des späteren Dorfes gelebt haben.

 
Die Megalithkultur, eine jungsteinzeitliche Epoche, hat in der Wetterau viele großartige Grabdenkmäler hinterlassen. Oft sind nur einzelne stumme Zeugen unzerstört vorhanden. Ob sich der Unter-Widdersheimer „Kindstein“ heute noch in seiner ursprünglichen Größe zeigt, darf ebenfalls bezweifelt werden, weisen doch andere Steinmonumente dieser Zeit Höhen auf, die darauf schließen lassen können, dass der „Kindstein“ eine wie auch immer geartete „Kürzung“ erfahren hat.
 
Der "Kindstein" besteht aus Trachytgestein, das nahe verwandt mit dem Phonolith ist. Beides sind helle Vulkangesteine, wobei Phonolith "Klingstein" bedeutet. Platten aus diesen Gesteinen geben beim Anschlag einen hellen Klang von sich. Was liegt näher, als dass im Laufe der Jahrhunderte daraus die Sage entstand, man höre darin die kleinen, ungeborenen Kinder schreien im "Klingstein" oder "Kindstein". Da lt. Sage der Storch die „neuen“ Kinder bringt, hat dieser auch nur den Schlüssel zum Kindstein. Eine andere Geschichte erzählt von einer Kinderfrau (auf Oberhessischplatt: die Keannfra, vermutliche eine Hebamme), die dort die Kinder aus dem Kindstein holt und deshalb auch den Schlüssel zum Kindstein hat.
 
Auch nach der Steinzeit war die Wetterau und damit auch unser Bereich immer bäuerliches Siedlungsgebiet. Für die Bronze- und Eisenzeit gibt es in unserer Region bedeutende archäologische Funde wie Hügelgräber und Geschirr (Borsdorfer Henkel), die der Siedlungszeit der Kelten zuzurechnen sind. Dieser Zeit ist auch das Keltenmuseum am Glauberg (Gemeinde Glauberg) gewidmet. Warum die Kelten ca. 100 Jahre v.Chr. ihren hiesigen Siedlungsbereich verlassen haben, ist immer noch wenig erforscht. So ist auch nicht eindeutig belegt, dass die germanischen Zuwanderer aus Nordeuropa das Volk der Kelten verdrängt haben. Die Bezeichnung „Germanen“ haben die ursprünglich im heutigen Italien ansässigen „Römer“ geprägt, die ihr Herrschaftsgebiet noch vor Christi Geburt nach Norden ausdehnen und eine Provinz „Germania“ schaffen wollten.
Die Römerzeit
Das Gebiet um das heutige Dorf Unter-Widdersheim wird vom Verlauf des heutigen Weltkulturerbes „Limes“ tangiert. Dieser Schutz- oder Grenzwall, den die Römer um 85 bis 155 nach Chr. bauten, sollte deren nördlichste germanische Provinz gegen Überfälle germanischer Stämme absichern, die sich gegen das römische Weltreich auflehnten. Der Limes umschloss auch die fruchtbare Wetterau und war insgesamt 555 km lang. Ein Teil des Limes verlief von Inheiden entlang des Horlofftals in Richtung Echzell. Es gibt konkrete Hinweise auf die Existenz eines Kleinkastells mit einem Wachturm im Gemarkungsteil „Die Burg" in der Unter-Widdersheimer Gemarkung. Hierzu lässt sich aus dem Archiv für Hessische Geschichte entnehmen, dass sich in der Zeit um 1900, als vor gut 100 Jahren eine Reihe von Wissenschaftlern (Historiker, Archäologen und Münzsammler) mit diesem historischen Ort befasst hat.
 
So berichtet Kofler von Grundmauern eines Römischen Gebäudes von 29,5 m Länge und 12 m Breite. Auch von einer 9 m breiten mit schweren Steinen gepflasterten Straße, die vom Westfuß des Burgberges in nordwestlicher Richtung zum Flüsschen Horloff zieht. Und von Cohausen meldete den Fund römischer Gefäßbruchstücke und Mörtelreste. Dieffenbach fasste zusammen (Zitat): „Nimmt man alle diese Beobachtungen und Funde zusammen, so wird man der Ansicht beipflichten, dass die Örtlichkeit zu einem Gehöft oder einer Villa ganz ungeeignet war, während die Lage und der Name die ehemalige Bestimmung als römisches Kastell wahrscheinlich machen. Wenn es die Westhälfte des Plateaus einnahm, dann dürfte es 40 x 45 m gemessen und das von Kofler entdeckte Gebäude umschlossen haben. Ganz ungewiss ist die Stelle, wo der Limes die Anhöhe überschritten hat.“ [1] Angemerkt sei, dass der Limes nicht durchgängig als „Pfahlgraben“ ausgebaut war. Den Römern genügten je nach örtlichen Verhältnissen auch sogenannte Sichtachsen von Wachturm (Kleinkastell) zu Wachturm.


Wenn die Grundmauern des Kastells aus hiesigem Basaltgestein errichtet wurden und hiervon heute nichts mehr zu sehen ist, liegt es wohl daran, dass nach Abzug der Römer die „frühen“ Unter-Widdersheimer die Steine in ihren Häusern verbaut haben. Auf diese Art sind schon mächtige Burganlagen späterer Zeit von der Erdoberfläche verschwunden.

Fotomontage Burg mit Wachturm

In unserer Region war es der östlich des Limes siedelnde germanische Stamm der Chatten, die den Römern zunehmend ihr Herrschaftsgebiet streitig machten, auch wenn sie sich zwischenzeitlich den Römern militärisch unterwerfen mussten. Erfolgreich waren die Chatten erst, als sie zusammen mit anderen germanischen Stämmen mit der überlieferten Bezeichnung „Alamannen“ im Jahre 233 n. Chr. nicht zuletzt infolge der römischen Niederlage in der Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. den Limes überrannten. Auch wenn die Römischen Besatzer die aufmüpfigen Chatten wieder in das Gebiet jenseits des Limes zurückdrängen konnten, hielten in der Folgezeit die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Germanen, so dass die Römer, den andauernden germanischen Überfällen überdrüssig, sich auf ihr linksrheinische Herrschaftsgebiet zurückzogen. Vieles, was wir heute als unsere Kultur bezeichnen, hat seinen Ursprung in den Jahren der römischen Herrschaft, deren Einfluss auch auf die Siedlungskultur und das Leben der Alamannen groß war, die es wiederum aber auch verstanden, Wissen und Kultur der Römer in der Folgezeit zu nutzen und mit diesen Handel zu treiben. Mit dem Zerfall des römischen Weltreiches im 5. Jahrhundert n. Chr. ist auch dessen Einfluss auf die Siedlungs- und Lebenskultur unserer Region beendet. Das hinterlassene Machtvakuum bescherte in der Folgezeit choatische Lebensumstände. Von Westen her drängte das ebenfalls germanische Volk der Franken auch in das Gebiet der Wetterau und unterwarf die bisher herrschenden alamannischen Volksstämme.
 
Das Mittelalter
Die erste urkundliche Erwähnung über das Dorf "Niedyrn-Wetridesheim" finden wir Anno 1260. Damals gehörte es zur Fuldischen Mark. Es kann als gesichert gelten, dass das Dorf bereits lange vor seiner ersten urkundlichen Erwähnung existierte. Historisch belegt ist die Siedlungsgeschichte der Wetterau in der Merowinger und Karolinger Zeit, die nach dem jeweils herrschenden Königsgeschlecht der Franken so benannt ist. Nach verlässlichen historischen Quellen ist davon auszugehen, dass Dörfer der Wetterau mit der Namenendung „heim“ bereits in den Jahren von 800 bis 1000 n. Chr. entstanden sind. Unter der Königsherrschaft der Franken, der berühmteste unter ihnen war Karl der Große, der auch die Kaiserwürde über das „Heilige römische Reich deutscher Nation“ errang, wurde der Herrschaftsbereich in Grafschaften aufgeteilt. Ab 1325 herrschte der Graf von Ziegenhain über Unter Widdersheim und später der Graf Johann I von Nidda. Um 1423 gehörte das Dorf zum Besitz des Grafen Philipp von Nassau und um 1570 dem Landgrafen Ludwig I von Hessen-Darmstadt.
 
Während der Frankenherrschaft breitete sich auch in der Wetterau das Christentum aus. Bonifatius war einer der Wegbereiter. Obwohl "Kirchweg" und die Flurbezeichnung "Kirchberg" es vermuten lassen könnten, hat das Dorf Unter Widdersheim nachweislich nicht über ein Kirchenbauwerk verfügt, viel mehr gingen die Bewohner zur Kirche nach Ober Widdersheim. Auf dem dortigen Kirchhof wurden lt. Kirchenbuch bis zum Jahr 1828 auch die Toten aus Unter-Widdersheim beigesetzt. In der Kirchengemeinde wurde im Jahre 1528 die Reformation eingeführt, weil es der Landesherr so wollte. Pfarrer Pankreatius Chelius hielt am 29.09.1528 den ersten Gottesdienst nach der neuen Ordnung.

Von 1561 bis 1590 war ein damals bedeutender Geistlicher und Verfechter der lutherischen Lehre - Johannes Chelius - Pfarrer in Widdersheim. Seinem Einfluss sind sicherlich die sonst an Bauernhäuser nicht üblichen lateinischen Inschriften zuzuschreiben.

An der Kirche in Ober-Widdersheim ist ein kleines Denkmal zur Erinnerung an die Familie Chelius in Form eines aufgeschlagenen Buches aus Marmor aufgestellt.

Als im 15. und 16. Jahrhundert die Hexenverfolgung [2] begann, blieb sicher auch unser Dorf nicht verschont. Die heftigsten Hexenverfolgungen in Oberhessen waren zwischen 1596 - 1598. Aus allen Ämtern des Landes wurden Verdächtige meist nach Marburg in Haft gebracht. Ganz besonders tat sich dabei Georg Nigrinus hervor, Superintendent für Echzell, Nidda, Alsfeld und Umgebung.
 
Der 30jährige Krieg (von 1618-1648) zog mit Mord, Raub und Brandschatzung auch über das Dorf Unter-Widdersheim hinweg. Der Überlieferung nach sollen die kaiserlichen Soldaten, die 1634 das Dorf heimsuchten, die schrecklichsten Mordbrenner gewesen sein.

Damit nicht genug! Weiteres Leid hatten die Bauern zu ertragen: Die Landgrafen Philipp von Hessen-Butzbach und Georg II von Hessen-Darmstadt pflegten ihre Jagden in der Fuldischen Mark zwischen der Nidda und der Horloff und im Vogelsberg vom Taufstein bis nach Nidda abzuhalten. Dabei mussten die Bauern als Treiber Dienste leisten. Ohne Rücksicht auf die bestellten Felder verwüstete die Jagdgesellschaft manche Ernte. Eine solche Jagd finden wir bildlich dargestellt vom "Hofberichterstatter" Valentin Wagner in der "Niddaer Sauhatz" von 1633.


Während dieser Zeit ging es den Bewohnern sehr schlecht. Der ständigen Überfälle marodierender Soldatenscharen und Räuberbanden überdrüssig, suchten viele Dorfbewohner Schutz in den befestigten Ortschaften Nidda und Stornfels. Diese beiden Orte konnten auch einer feindlichen Belagerung und Besetzung standhalten.

Stadtansicht Nidda im Jahre 1633

Nachdem die Soldaten abgezogen waren, brachte die Krankheit noch mehr Leid und Elend über die Menschen der Region.

Damals sollen, so wird berichtet, nur drei (!) Einwohner von Unter-Widdersheim diese Schrecken überlebt haben. Ob damit drei Menschen, drei Familien oder drei Bauernhöfe gemeint waren, bleibt im Ungewissen. Dass es nur drei Menschen waren, widerlegen allerdings Belege über Steuereinnahmen, auch Bete genannt (im Archiv Nidda), denen man entnehmen kann, dass der Ort sehr bald danach zu einer gewissen Wohlhabenheit gekommen sein muss und damit auf mehr steuerzahlende Bürger in Unter Widdersheim als derer drei geschlossen werden kann. Vom gräflichen Amt Stornfels oder Schotten war in der Zeit von 1646 bis 1679 Johannes Höcher als Bürgermeister oder Dorfschultheiß eingesetzt [3].

Im Jahr 1700 erhielt der Unter Widdersheimer Johann Georg Maldfeld die Genehmigung zum Betrieb einer "Hafermeelmühl". Diese befand sich in dem Haus am Dorfbach "Massohlgraben", heute "Am Klappersberg 1". 1702 ließ Georg Maldfeld neben dem Wohnhaus eine Scheune errichten.

Im Jahre 1701 erteilte der Amtmann des Amtes Stornfels im Auftrag des Landesherren (Landgraf Ernst Ludwig zu Hessen und u.a. Graf zu Nidda) der Gemeinde Unterwiddersheim die Erlaubnis für den Bierausschank im Dorf. Gleichzeitig wurde einem „Leopold Güntner“ die Erlaubnis entzogen. Hierzu findet sich im historischen Archiv der Stadt Nidda die nachstehende Urkunde nebst späterer Übersetzung.



Übersetzung der Urkunde Stadtarchiv Nidda
 
In dieser Zeit gab es neben den Maldfelds lt. Kirchenbuch noch weitere Familien mit den Namen Bältzer, Binding (auch Bynding), Bindingshaus, Eiser (auch Eyser), Höcher, Michel, Schäfer und Schneider. Lt. den Urkunden im Stadtarchiv wurden zu „Boiermoaster“ (Bürgermeister) oder Dorfschultheiß im 18. Jahrhundert folgende Unter-Widdersheimer vom gräflichen Amt bestellt:

Maldfeld, Georg                                1705
Eiser, Johann Conrad                       1730
Binding, Johann Georg                    1731
Höcher, Johann Conrad                   1734
Schäffer, Johann Heinrich               1739     
Michel, Wilhelm                                 1739           
Schneider, Johann Martin                1746           
Schäfer, Johann Conrad                   1750 - 1760           
Binding, Johann Philipp                    1770 - 1780           
Kröll, Johann                                      1786           
Binding, Johann Georg                     1789           
Kniß, Johann Philipp                         1790           
Schäfer, Johann Philipp                    1795
 
Der häufige Wechsel war offenbar damit begründet, dass der Landesherr in Sorge war, seine Bete-Einnehmer könnten ein allzu inniges Verhältnis zu den Abgabenschuldnern entwickeln.

Welche Bedeutung das unter Einzeldenkmalschutz stehende Amtshaus mit Hofreite, heute Unterdorstraße 8 hatte, ist nicht geklärt. Es kann mit Sicherheit nicht das Wohnhaus des jeweiligen Bürgermeisters oder Dorfschultheissen gewesen sein, denn diese waren auch in anderen Hofreiten des Dorfes ansässig. Feststeht, dass die Familie Bindung diesen Gebäudekomplex in späterer Zeit zu Eigentum erhalten hat, denn die Nachfahren dieser Familie bewohnen heute noch das Anwesen.
 
Eine Gemarkungskarte aus dem Jahre 1703 zeigt nicht nur die Grenzen der Unter-Widdersheimer Gemarkung, sondern deutet auch das Dorf an. Die als Original im Landesarchiv aufbewahrte Handzeichnung dürfte der Beginn einer systematischen Flächenerfassung sein. Auffällig sind die im Einzelnen eingezeichneten 20 Siedlungshäuser und das Fehlen jeglicher Parzellierung. Den Historiker wird es nicht weiter wundern, denn Grundstückseigentum und Parzellengrenzen im heutigen Sinn gab es zu jener Zeit nicht, denn für die damaligen feudalen Herrschaftsverhältnisse, nach denen alles dem Landesherren oder der Kirche gehörte und die Bauern entweder noch Leibeigene waren oder  nur die Flächen als Lehen (Pächter) bewirtschafteten, reichte ein grober „Feldmarck-Grundris“ aus.
 
Auffällig auch, dass der Dorfbach, in der Karte als „Die Bach“ bezeichnet, das Dorf wie heute noch in Richtung Nordwesten durchfloss und dann den Gemarkungsgrenzen zu Steinheim, Utphe und Berstadt folgend die „Unterwiedersheimer Feldmarck“ in Richtung Süden verließ. Dies lässt darauf schließen, dass das Sumpfgebiet der Mittleren Horloffaue bereits zu diesem Zeitpunkt durch Regulieren der Bachläufe entwässert worden war. Interessant auch, dass es einen direkten Weg (Straße) von Unter-Widdersheim Richtung Berstadt gegeben haben muss.

Die Neuzeit
Als Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts mit seinen Soldaten durch Europa zog, kam auch manche Soldatenschar durch Unter-Widdersheim.
(Die vier französischen Musketen, die sie zurückließen und die dies beweisen konnten, sind im Jahre 1972 mit der Auflösung der Volksschule aus dem Keller des Schulhauses, in welchem sie bis dato aufbewahrt wurden, verschwunden.)
Als Folge der Napoleonischen Kriege, in denen das Großherzogtum Hessen-Darmstadt und dessen Soldaten im sogenannten Rheinbund auf Seiten Napoleons gestanden hatten, musste die Bevölkerung große Opfer bringen, um die von den Siegermächten auferlegten Kriegskosten-rechnungen  zu bezahlen. Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt hatte die Lasten gleichmäßig über sein Land verteilt.
 
Die Napoleonische Besatzungszeit bracht nach ihrem Ende so manche Veränderung für das Dorf. Hatte Unter-Widdersheim bis zum Jahr 1820 verwaltungsmäßig zum Amt Stornfels gehört, während die Amtsgeschäfte in Schotten erledigt wurden, so kam es 1821 zum Landratsbezirk Nidda (ehem. Amt Nidda - ab 1832 Kreis Nidda). 1874 wurde der Kreis Nidda aufgelöst und Unter Widdersheim war fortan Teil des Kreises Büdingen.

Im Dorf hatten sich inzwischen Handwerker angesiedelt; so gab es unter anderem im Jahre 1848 und davor einen Schuhmacher namens Georg Becker, einen Viehschneider namens Habermehl und einen Grobschmied namens Johannes Schäfer. Im Jahre 1848/49 wird der Gasthof "Deutscher Hof" erwähnt. 1851 meldete Johannes Schäfer XII als Gewerbe "Leineweber" an. Dass sich ein Maurermeister Johann Conradt bereits im Jahre 1772 um den Gemeinde „Back Offen“ kümmern musste, lässt darauf schließen, dass bereits zu dieser Zeit in öffentlichen Backhäusern Brot gebacken wurde. Ein Dokument aus dem Stadtarchiv hält hierzu fest: „das Essen Muß die gemein dem Maurer Geben aber keinen lohn“ [4].
 
Auch für die Bauern gab es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhebliche Veränderungen. Die größte Änderung ist aus einem gebundenen großformatigen Kartenwerk im Niddaer Stadtarchiv mit der Bezeichnung „Handrisse über die Grundstücke und Gebäude in der Gemarkung Unterwiddersheim“ ersichtlich. Das im Jahre 1831 erstellte Werk ist Ausfluss der veränderten Herrschafts- und Grundbesitzverhältnisse in der Provinz Oberhessen des Großherzogtums Hessen-Darmstadt. Französische Revolution, die Herrschaft Napoleons, aber auch Konflikte zwischen den Herrscherhäusern in Hessen hatten die Veränderungen möglich gemacht. Mit Inkrafttreten der Verfassung des Großherzogtums Hessen-Darmstadt im Jahre 1820 waren die Leibeigenschaft der Bauern aufgehoben, die Lehen mit Abgabe des Zehnten vom Landesherrn in Besitzrechte (Eigentum) der Bauern und einer einmaligen Grundbesitzabgabe (Grundrente) umgewandelt worden. Die Besitzrechte sind durch entsprechende Parzellierungen festgeschrieben. Auffällig ist jedoch, dass eine Gewanneinteilung und eine Feinerschließung durch Feldwege fehlen. Offensichtlich war die Drei-Felder-Wirtschaft immer noch gängige Praxis. Auffällig auch die Ausdehnung der Siedlungsfläche. Der Vertreter des Landesherrn war der Amtmann in Nidda. Die Steuern und Abgaben trieb das Rentamt ein und im Dorf hatte der Ortsschultheiß (Bürgermeister) das Sagen, der lt. Verfassung von der Dorfbevölkerung bestimmt (gewählt) [5] worden war. Unter-Widdersheimer Bürgermeister wurde im Jahre 1823 Adam Binding und blieb es bis ins Jahr 1876. Der Bürgermeister bewohnte nicht mehr das Amtshaus Unterdorfstraße 8, sondern als Spross der Amtsfamilie Binding die großzügige Hofreite Hintergasse 3, daher der Dorfname Hofmanns.
 
Der Ausschnitt aus dem Kartenwerk zeigt u.a. die bebauten Grundstücke des Dorfes:  

 Der Ausschnitt oben aus dem Kartenwerk zeigt Grundstücksparzellen der Flur 2 (Wiesengrund und Ackerflächen westlich der heutigen Hungener Straße.

 Der Ausschnitt unten aus dem Kartenwerk zeigt Grundstücksparzellen der Flur 1 mit den Siedlungsflächen des Dorfes und dem Gemarkungsteil östlich hiervon, der heute zu großen Teilen von Abbaugebiet und Verarbeitungsanlagen des Basaltwerkes in Anspruch genommen wird. Am nördlichen Dorfrand ist eine Parzelle an der Straße nach Steinheim ausgewiesen, die mit der Lage des heutigen Unter-Widdersheimer Friedhofs übereinstimmt. Analog mit der Eintragung im Kirchenbuch dürften die Verstorbenen Unter-Widdersheimer dann ab dem Jahre 1828 dort beigesetzt worden sein.

Dieses Datum wäre auch die Pflanzzeit der Friedhofslinde, die bis zum Jahre 2015 als Naturdenkmal existierte (siehe nachstehendes Foto)

Naturdenkmal Friedhoflinde um das Jahr Ende des 20. Jahrhunderts
 
In den Jahre 1880 bis 1885 erbauten sich die Unter-Widdersheimer in Gemeinschaftsarbeit ein Schulgebäude, das 1885 eingeweiht und in welchem die einklassige Volksschule bis in das Jahr 1972 betrieben wurde (Bild aus 1960). Bis 1885 gingen die Unter-Widdersheimer Kinder, soweit sie schulpflichtig waren, ins Nachbardorf Ober-Widdersheim zur Schule. Da Unter-Widdersheim nunmehr ein eigenes, mit den Mitteln der Gemeinde errichtetes Schulgebäude hatte, kündigte der Gemeinderat die bis dato bestehende Schulgemeinschaft auf und verlangte die Aufteilung des bisherigen Schulvermögens. Hierüber kam es zu einem Rechtsstreit zwischen beiden Dörfern.


Schulgebäude mit zwei Schulsälen im EG und einer Lehrerdienstwohnung im OG sowie einem Nebengebäude mit Toiletten für die Schüler/innen und Lagerräumen

1882 schickte die Verwaltung aus Büdingen an den damaligen Bürgermeister Adam Schneider einen Fragebogen, worin u.a. nach historischen Gebäuden, insbesondere Fachwerk und sonstigen erhaltenswerten Bauten gefragt wird. Der Bürgermeister beantwortet diese Frage mit "nicht vorhanden". Allerdings erwähnt er den "Kindstein" und die damit verbundene Sage. Aus der damaligen Sicht der Dinge war die Antwort des Bürgermeisters verständlich, war der Denkmalschutz noch nicht „amtlich“, waren Burgen und Schlösser der Feudalherrschaft im Dorf nicht vorhanden, ein großer Teil der Bauten noch keine hundert Jahre alt und Fachwerkhäuser die Normalität. Heute sehen wir das mit anderen Augen. Insbesondere der alte Ortskern mit seinem fast vollständig erhaltenen Scheunenkranz ist eine historische Rarität, die im Jahre 2008 ausschlaggebend für die Aufnahme des Dorfes in das Landesprogramm Dorferneuerung war.

Die Entwicklung des Dorfes im ausgehenden 19. Jahrhundert lässt sich aus einem gebundenen großformatigen Kartenwerk im Stadtarchiv mit Namen „Parzellen-Karten der Gem. Unter-Widdersheim“ nachvollziehen. Das in den Jahren 1875 bis 1885 vom „Steuerkommissariat Nidda“ aufgestellte und bearbeitete Kartenwerk ist offensichtlich die Folge der Parzellenerfassung aus dem Jahre 1831 und einer angeordneten Grenzregulierung (Flurbereinigung), denn nunmehr wurden die Gemarkung durch ein Wegenetz erschlossen, mehrere Kleinparzellen eines Besitzers (Eigentümers) zu einer Großparzelle zusammengefasst, die Drei-Felder-Wirtschaft nicht mehr betrieben und auch die Besitzverhältnisse in der Dorflage neu geordnet.  In diesem Zeitraum hat auch eine rege Bautätigkeit, vermutlich in Folge der Gründung des Deutschen Reiches als absolutistische Monarchie (Kaiserreich) und eines damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwungs, das Dorfbild verändert. Die vorher übliche Gebäudeanordnung der Bauernhöfe (fränkische L-Form, d.h., von der Straße angeordnet waren Wohnhaus, dahinter Stallungen und im rechten Winkel die Scheune) wurde in mindestens acht Anwesen von den Eigentümern in Vier-Seiten-Höfe mit überbauter Einfahrt an- und umgebaut.
Vierseiten-Hof Unterdorfstraße 3 (heute)



Vier dieser Höfe existierten lt. Parzellenkarte bereits im Jahre 1885 in der Vier-Seiten-Hof-Form, die anderen vier folgten in den Jahren bis zur oder um die Jahrhundertwende. Wohngebäude wurden in dieser Zeit fast ausschließlich in Fachwerk errichtet. Wirtschaftsgebäude, insbesondere die Stallungen erhielten im Erdgeschoss Umfassungswände aus Basaltbruchsteinen. Im Jahre 1904 stellte Otto Schäfer I. auf seinem Anwesen (heute Oberdorfstraße 1) ein neues freistehendes viergeschossiges Wohnhaus (Keller, Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachgeschoss) fertig. Bis auf den Keller wurden alle Geschosse in Fachwerk errichtet. Um die Jahrhundertwende müssen auch die beiden Hofreiten südlich der Ober-Widdersheimer Straße entstanden sein.

Die zweite Flurbereinigung, auch Feldbereinigung genannt, erfolgte in den Jahren 1902 bis 1918. Rechtswirksam war sie aber bereits 1909. Auslöser dieser Bereinigung war ganz offensichtlich die in Oberhessen übliche Realerbteilung, bei der im Erb- oder Hofübertragungsfall der Grundbesitz (Eigentum) eines Bauern zwischen allen Kindern aufgeteilt wurde. Manche Familien teilten je nach Anzahl der Kinder gar jede Parzelle in Unterparzellen, so dass die mit der Zeit entstandenen Kleinstparzellierungen durch entsprechende Flurbereinigungen wieder zu gut zu bewirtschaftenden Großparzellen zusammengelegt werden mussten. Auch die heute noch vorhandene Erschließung des alten Dorfkernes ist auf diese Flurbereinigung zurückzuführen. In den Zeitraum vor dem 1. Weltkrieg fallen auch Infrastrukturmaßnahmen wie der Bau der öffentlichen Wasserversorgung und der Kanalisation sowie der Anschluss an das überregionale Stromnetz. In dieser Zeit war Adam Schneider Bürgermeister.[6] Vom heutigen technischen Ausbaustand war das damals als fortschrittlich geltende Unter-Widdersheim noch weit entfernt. Auch bestand zu jener Zeit kein Anschluss- und Benutzungszwang für diese öffentliche Infrastruktur. Eine ganze Reihe Hofreiten versorgten sich selbst mit Trink- und Brauchwasser aus eigenen Tiefbrunnen, von denen einzelne auch heute intakt sind und Wasser führen, hierunter auch ein öffentlicher Straßenbrunnen in der Oberdorfstraße.

Das Ende des 1. Weltkriegs, die Abdankung des letzten deutschen Kaisers, die Revolution im Deutschen Reich, die Entmachtung des Adels und die Gründung des Volksstaates Hessen brachten für das Dorf Unter-Widdersheim nur insofern Veränderungen, dass zehn Kriegstote aus der Dorfgemeinschaft zu beklagen waren und Kriegsheimkehrer an ihren schweren Kriegsverletzungen litten. Dass der Landesherr nicht mehr der Großherzog aus Darmstadt, sondern eine Landesregierung der Republik Hessen und ein Teil der Republik Deutsches Reich war, dürfte erst nach und nach in das Bewusstsein der oberhessischen Unter-Widdersheimer gedrungen, spätestens jedoch bei den ersten Wahlen im Januar 1919 klar geworden sein. Erster Bürgermeister Unter-Widdersheims in einem demokratisch regierten Deutschland war Ludwig Michel.
Um das Jahr 1935 ließ die Gemeinde in der heutigen Oberdorfstraße ein neues Feuerwehrgerätehaus mit angegliedertem Backhaus errichten. Darin wurde bis in die 50-er Jahre regelmäßig gebacken. Die Reihenfolge und wer das Anheizen besorgen musste, wurde ausgelost. Eine Backordnung aus dem Jahre 18xx (im Archiv Nidda) legte genau fest, wie das Backen im Backhaus zu erfolgen hatte. Das alte baufällige Backhaus vor dem Grundstück Unterdorfstraße 15 hatte ausgedient und wurde abgerissen. Die Tradition des „öffentlichen“ Kuchen- und Brotbackens, bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts noch üblich, verlor den „Wettlauf“ mit dem Elektro-Herd und kam erst 1983 als jährliches "Backhausfest" des Landfrauenvereins zu neuen Ehren.

Der 2. Weltkrieg kostete 22 Unter-Widdersheimern das Leben. Zu ihrem und der 10 Toten aus dem 1. Weltkrieg Gedenken steht auf dem Friedhof ein Mahnmal, das ursprünglich als Ehrenmal für die „gefallenen Helden“ des 1. Weltkriegs errichtet worden war. Die Katastrophe des 2. Weltkriegs war überall spürbar: Evakuierte Menschen aus dem kriegszerstörten Frankfurt, Armut und Hunger, Flüchtlinge und Vertriebene aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Eger- und Sudetenland und nicht zuletzt Familienangehörige, die vermisst oder tot waren. Selbst die letzten Kriegstage nach dem Einmarsch der Streitkräfte der USA kosteten in Unter-Widdersheim einem deutschen Soldaten und einem Zivillisten noch das Leben. Zu den hiesigen Kriegsopfern sind auch die acht Menschen zu zählen, die in Unter-Widdersheim untergebrachte Flüchtlinge aus Pommern, Ostpreußen und Schlesien im Jahre 1950 als vermisst oder tot gemeldet haben.

Dokumente aus der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sind in den Archiven der Gemeinde eher rar. Gewaltexzesse wie anderswo in Deutschland haben im Dorf offenbar nicht stattgefunden.

Dass die Diktatur der Nationalsozialisten (NSDAP) von 1933 bis 1945 auch in Unter-Widdersheim durch Menschen repräsentiert und mit diktatorischen Mitteln umgesetzt wurde, soll eine Überlieferung aufzeigen, die ein Unter-Widdersheimer Bürger aus dem Leben seiner Familie aufgeschrieben hat:
„Mein Großvater väterlicherseits war in dieser Zeit Bauer in Unter-Widdersheim, dem es nicht an Selbstbewusst sein mangelte und deshalb mit der Obrigkeit der Nazidiktatur in Person des NSDAP-Ortsgruppenleiters und eines Unter-Widdersheimer SS-Mannes mehr als einmal aneckte. Diese Unter-Widdersheimer Obrigkeit hatte deshalb selbstherrlich beschlossen, den unliebsamen Bauern und seine Familie nach dem „Endsieg“ in die heutige Ukraine „umzusiedeln“. Um dieser Zwangsmaßnahme zu entgehen, glaubte mein Großvater, noch im Jahre 1944 in die NSDAP eintreten zu müssen. Ein entsprechender Aufnahmeantrag wurde von der örtlichen Parteileitung zurückgewiesen, weil Zweifel an seiner „Linientreue“ bestanden. Obwohl die Westalliierten mit ihren Truppen schon an den Grenzen des Deutschen Reiches standen, legte mein Großvater zum Unverständnis seiner Familie noch Widerspruch gegen die NSDAP-Entscheidung ein. Dieser Widerspruch, der seitens der NSDAP zurückgewiesen wurde, hatte allerdings zur Folge, dass mein Großvater nach Kriegsende als „Mitläufer“ eingestuft wurde und er sich einem „Entnazifizierungsverfahren“ unterziehen sowie 20 Reichsmark Bußgeld zahlen musste. Diese Abläufe sind wahrlich eine Groteske, aber auch ein Mosaiksteinchen der vielfältigen Verirrungen und Verwirrungen in der dunkelsten Zeit Deutscher Geschichte.“
 
Folge des Krieges war auch, dass die Dorfbevölkerung durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen von ca. 200 auf über 400 Einwohner anwuchs. Diese „Bevölkerungsexplosion“ zeitigte natürlich jede Menge Probleme des Zusammenlebens in Wohnraum, der sich auf die Häuser des alten Ortskerns beschränkte, weil die Baugebiete und Häuser südlich der Ober-Widdersheimer Straße (mit Ausnahme zweier Gehöfte) nicht existierten. Damals wie heute waren die Flüchtlinge, obwohl alle Deutsche, nicht immer und überall bei den Einheimischen willkommen. Es bedurfte eines sogenannten Lastenausgleichsgesetzes und einer damit verbundenen Zwangsabgabe für die Grund- und Vermögensbesitzer, um die Wohnungsnot zu lindern und den Flüchtlings- und Vertriebenenfamilien eine neue Heimat zu geben. Es war auch nicht nur die Zwangsabgabe, die das Verhältnis der Einheimischen zu ihren „Neubürgern“ trübte. Wohnraum für die „Neuen“ wurde durch den Flüchtlingskommissar zwangsweise requiriert. War ein Hauseigentümer damit nicht einverstanden, konnte es schon sein, dass er von der amerikanischen Militärpolizei abgeholt und in Friedberg oder Büdingen im Gefängnis davon „überzeugt“ wurde, dass Flüchtlinge und Vertriebene ja irgendwo untergebracht werden mussten. Es galt Besatzungsrecht. Über alle Schwierigkeiten hinweg fanden in dieser Zeit Menschen zu einander, lernten sich schätzen und lieben, die sich sonst wohl nie begegneten wären.
 
Die gemeinsame Not half über vieles hinweg und forderte die Menschen dazu auf, gemeinsam Probleme zu bewältigen. Bereits vier Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges (1949) wurden trotz geringen Steueraufkommens größere kommunale Investitionen getätigt. In Gemeinschaftsarbeit war 1949 der Löschteich im Dorfbach (Massohlgraben) erstellt worden. 1957 wurden die Ortsstraßen ausgebaut und mit einer Bitumendecke versehen. Dieser Maßnahme fiel auch das Bauwerk des in der Mitte des alten Ortskernes gelegenen Gemeindebrunnens aus Sandstein genannt „Wähbonn“ (vermutliche Wegebrunnen) zum Opfer, der allerdings zu diesem Zeitpunkt kein Wasser mehr führte und deshalb zum Großteil schon zugeschüttet war. Heute hat der Platz mit dem Dorfbrunnen im Rahmen der Dorferneuerung eine gelungene „Wiederbelebung“ erfahren.
 
Im wirtschaftlichen Aufschwung der folgenden Jahre und wegen einer gezielten Förderung des ländlichen Raumes durch die Landesregierung wurden dem allgemeinen Trend folgend die meisten bereits Ende des 19. Jahrhunderts verputzten "Balkenhäuser" neu aufgeputzt, d.h. das Fachwerk nicht frei gelegt, sondern wieder mit Mörtel verputzt oder geschindelt. Im Jahre 1961 waren in Gemeinschaftsarbeit der heutige Kinderspielplatz und eine inzwischen geschlossene Gemeinschafts-Gefrieranlage entstanden. Anfang der 60er Jahre hatte die hessische Landesregierung die Dörfer Hessens unter der Bezeichnung „Unser Dorf soll schöner werden.“ zu einem jährlichen Wettbewerb aufgerufen, der die Dorfbewohner zur mehr Eigeninitiative und Gemeinschaftsarbeit ermuntern sollte. Die Unter-Widdersheimer und ihr Dorf belegten im hessischen Landesentscheid einen hervorragenden 6. Platz, was im Jahre 1962 mit einem Dorfgemeinschaftsabend im Saal der Gaststätte Deutsches Haus gefeiert wurde. Gestaltet hatte diesen Abend die Dorfbevölkerung selbst unter wesentlicher Beteiligung der Schülerinnen und Schüler der Volksschule und des Gesangvereins.

Auch fehlende Arbeitsplätze außerhalb der bäuerlichen Landwirtschaft waren Ursache der „Landflucht“. Die damaligen Gemeindevertreter mit dem langjährigen Bürgermeister Otto Hofmann (1945 bis 1972) an der Spitze sahen in der Ansiedlung eines Steinbruchbetriebs die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig der Gemeinde zu mehr Steuereinnahmen zu verhelfen. Seit 1964 existiert auf Unter-Widdersheimer Gemarkung ein Basaltsteinbruch. Arbeitsplätze entstanden und Pacht- sowie Gewerbesteuereinnahmen sprudelten für Unter-Widdersheim Verhältnisse kräftig.
Werk u. Tagebau hinter dem Klappersberg im Jahre 2019

Was aus der Sicht der ehemaligen Gemeinde Unter-Widdersheim Positives mit dem Steinbruchbetrieb verbunden war, hat heute auch eine „Kehrseite“ in Form von Emissionen, die der inzwischen ausgebaute und erweiterte Betrieb den Unter-Widdersheimern bereitet. Sprengerschütterungen, Betriebslärm und starker Lkw-Verkehr auf der Durchgangsstraße werden von vielen Unter-Widdersheimern schon als „Last“ empfunden. Die Steinbruchpacht- und Gewerbesteuereinnahmen versetzte die damalige Gemeindevertretung in die Lage, Investitionen in die öffentliche Infrastruktur zu tätigen, die ohne diesen Industriebetrieb nicht möglich gewesen wären. Neben der schon genannten Erschließung von Neubaugebieten konnte sich Unter-Widdersheim eine Trauerhalle auf dem Friedhof (s. folgendes Bild) leisten, eine erneute Flurbereinigung mit Ausbau von Wirtschaftswegen wurde aus dem Gemeindesäckel bezahlt und auch die Planung einer zentralen Abwasserkläranlage wurde vorangetrieben.

Bild vom Friedhof Unter-Widdersheim im Herbst 2019
 
Noch vor der Gemeindezusammenlegung (1972) begann die Erschließung des Neubaugebietes "Im Loch" mit 29 Bauplätzen, so dass die Einwohnerzahl geringfügig anstieg.

Neubaugebiet "Im Loch" im rechten Bild- Drittel

Bedingt durch die Modellplanung der Hessischen Landesregierung musste am 01.10.1972 die kommunale Selbständigkeit von Unter Widdersheim aufgegeben werden. An diesem Tage wurde das Dorf der 17. Stadtteil von Nidda. Vorausgegangen war ein politischer Kampf der Unter-Widdersheimer für den Erhalt der Selbständigkeit, der jedoch erfolglos mit der „freiwilligen“ Eingemeindung nach Nidda endete, um nicht zuletzt eine zwangsweise Eingemeindung nach Echzell zu verhindern. Wegen Unter-Widdersheim musste sogar das „Reform“-Gesetz geändert werden. Während bis zur Eingemeindung Parteien in der Unter-Widdersheimer Kommunalpolitik keine Rolle spielten, war es für die Unter-Widdersheimer nunmehr im Dorfinteresse geboten, sich zu organisieren, um in der Großgemeinde mit 18 Stadtteilen und rd. 17.000 Einwohnern wahrgenommen zu werden. So waren im ersten Ortsbeirat gewählte Vertreter von CDU, FW und SPD tätig, wenn gleich der Ortsbeirat nur beratende Funktion gegenüber dem Magistrat der Stadt Nidda hatte. Dies ist auch heute noch so. Kommunalpolitische Entscheidungen werden in der Stadtverordnetenversammlung und im Magistrat getroffen. Stadtverordnete aus Unter-Widdersheim waren seit der Eingemeindung Konrad Jäger, Arthur Schneider, Elke Harth und Klaus-Dieter Kammer. Seit der Kommunalwahl 2016 ist Unter-Widdersheim nicht mehr mit eine/m/r Stadtverordneten vertreten.
 
Erster Ortsvorsteher war Heinrich Freiensehner (1972 bis 1977). Ihm folgten und in dieser Reihenfolge Walter Freiensehner (1977 bis 1981), Friedrich Otto Gottwald (1981 bis 1985), Arthur Schneider (1985 bis 1995) Friedrich Otto Gottwald (1995 bis 2009), Rainer Strauch (2009 bis 2016), Arthur Schneider (2016 bis 2019), Klaus-Dieter Kammer (2019 bis heute).

Im Jahr der Eingemeindung zur Stadt Nidda wurde auch die einklassige Volkschule mit acht Jahrgangsstufen, die seit 1885 bestand, aufgelöst. Letzter Lehrer an der Volksschule war Ernst Glinder.

Vorbei war es dann mit einer Schulklasse und acht Jahrgängen in einem Klassenzimmer mit bis zu 46 Schülerinnen und Schülern.
Hier gehörten Disziplin und Gehorsam zum Schulalltag; ohne diese „Tugenden“ wäre der Lehrer zweifelsohne in die Psychiatrie eingeliefert worden.
 
Diese und so manche andere Entwicklung in der jüngsten Geschichte kann mit einem lachenden und einem weinenden Auge gesehen werden, so die Ansiedlung von Industrie, das Verschwinden der einst drei Lebensmittelgeschäfte, der Verlust der kommunalen Selbständigkeit.

Arbeitskreis Dorferneuerung Unter-Widdersheim


[1] Fundstelle: Wachposten 79, kleines Kastell auf der Burg bei Unter-Widdersheim (Taf. 10 Fig.6, vgl. Dieffenbach, Urgesch. S. 52 und Archiv f. Hess. Gesch. V 1846-48 Nr XIII S. 65, v. Cohausen S.64,1, Kofler, Korrespondenzbl. d. Westd. Ztschr. IV 18885 Sp. 82 ff, Quartalsbl. 1886 S. 20 ff., Arch. Anz. 1900 S.88)
[2] Machtinstrumentarium der herrschenden weltlichen und geistlichen Obrigkeit, um durch Drangsal aller Arten (Kerker, Folter und Bestrafung incl. Verbrennen) bestimmten auffälligen Untertanen, meist Frauen die Schuld an Naturkatastrophen, Massenerkrankungen und Hungersnöten zuzuschieben und damit die eigenen Machtstrukturen zu festigen.
[3] Ersichtlich aus einem Betebuch (Abgabenbuch) im Stadt Archiv Nidda
[4] Hinweis des Archivars Strohmeyer im Jahr 2005 zur Schreibweise: „Auf eine Besonderheit soll hingewiesen werden: Bei den im Orte selbst verfaßten Schriftstücken ist bis ins 19. Jh. hinein eine chaotische Rechtschreibung auszumachen, dergestalt, das Wörter und Begriffe häufig nach Silben getrennt und dann entweder klein oder groß geschrieben werden z. B. ge mein oder ge Meinde [Gemeinde] - gewiß eine wahre Fundgrube für rechtschreibreformfreudige deutsche Kultusminister!“
[5] Wahlberechtigt waren lt. Verfassung nur die erwachsenen, verheirateten Männer
[6] Adam Schneider war von 1876 bis 1919 Bürgermeister und bewohnte mit seiner Familie die Hofreite Unterdorfstraße 7, daher auch der Hausname „Boiermoastersch“.
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